Leseprobe - Der Keim der Furcht

Diese Leseprobe ist aus dem Original geschriebenen Manuskript, ohne Lektorat!

Domo, Äthiopien          12 Uhr 57

Derek Yegger war nicht gerade gut gelaunt, als er den kleinen Dereje auf seinem Behandlungstisch hatte und die Wunden auf dessen Rücken sah. Ein Striemen neben den Anderen – lang und tief – für dieses zarte Fleisch. Zu schnell und leicht war dessen junge Haut aufgeplatzt. Dereje konnte noch keine starke Muskulatur für sein Alter aufbauen.

Er lag wie bewusstlos auf diesem Tisch. Sein Blick starr und ohne Bewegung seiner Pupillen – als wäre er schon tot.

Doch Dr. Derek Yegger wusste es besser. Das Blut auf Derejes Rücken quoll nach wie vor aus den länglichen Wunden.

„Es wird zwar eine Weile dauern, aber du kommst wieder auf die Beine, mein Kleiner!“, murmelte Yegger vor sich hin.

Er nahm einen leeren Metalleimer unter dem Tisch hervor, begab sich damit zum Wasserhahn und hielt den Eimer unter dem Wasserhahn. Klares und frisches Wasser spuckte dieser Wasserhahn aus – und der Eimer füllte sich.

Mit diesem Wasser und einem sterilen weißen Tuch, dass er aus einem Unterschrank seines Medikamentenschrankes entnahm, tupfte er das Blut von Derejes Rücken, bis nur noch klare Wundränder der Striemen zu sehen waren. Das Wasser im Eimer hatte sich verfärbt – doch ein Gottes Wunder war dies nicht.

Yegger ging in einen kleinen Nebenraum und holte etwas, dass die Linderung der Schmerzen zu Folge haben sollte. Als er diesen Raum wieder verließ hielt er in seiner Hand zwei getrocknete sternförmige Gebilde. Er legte dieses Gebilde auf Derejes Rücken und verband es anschließend mit weißen Stretchbinden, die es fixieren sollten. Da Dereje ohnehin in einem Halbschlaf versunken war, konnte Dr. Yegger ihn leicht in seinen eingerichteten Aufwachraum legen. Bisher war es noch leer, da er sich zurzeit diese kleine Klinik einrichtet und instand setzt.

Kaum hatte er Dereje auf einer weichen Liege, die mit Schafswolle ausgelegt war gelegen, ertönten quietschende Reifen, die auf seinem staubigen Platz hörbar wurden. Er blickte aus dem Fenster, das mit länglichen Schilfrohren versehen war und sah zwei Jeeps. Auf einem der Jeeps befand sich ein M16 Sturmgewehr, das schwenkbar war und die Mündung auf seine Klinik gerichtet war. Der andere Jeep hatte keine direkte angebrachte Waffe, aber dafür drei bewaffnete Männer an Bord die ihre AK47 Sturmgewehre auf dieselbe Richtung anlegten.

„Yegger. … Dr. Yegger.“, rief ihm eine Stimme.

Dr. Yegger passierte einige bunte Bänder, die am Durchgang hingen und stellte sich in die offene Eingangstür.

„Dass ist eine Klinik - also zügel Dein laute Organ.“, sprach Dr. Yerek erbost und erblickte einen etwas größeren Mann als er es war, vor sich. Er hatte eine Augenklappe über das linke Auge und sah damit schon Furcht einflößend genug aus. Der grüne Tarnanzug und die Machete auf seinem Rücken taten ihr übriges.

„Ich bin hier wegen dem Jungen. Ich soll ihn zum Camp zurückbringen.“

„Diesmal nicht, Uvsuva!“, erwiderte Dr. Yegger.

„Was soll das heißen. Du hast sie uns immer wieder zurückgegeben!“

„Worauf ich nicht Stolz bin! Doch dieses Mal nicht. Dieser Junge bleibt hier bei mir!“

„Was liegt dir an diesem Jungen, Derek?“, fragte Uvsuva, nahm seine Tarngrüne Mütze ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Er ist kein bisschen anders, als die anderen Kinder.“

Dr. Yegger ging an Uvsuva vorbei und positionierte sich zwischen den beiden Jeeps. Er blickte in die Augen der jungen Männer, die selber fast noch Kinder waren und wandte sich wieder seinem alten Freund zu.

Oh doch. Dieser kleine Junge ist etwas Besonderes! Wir haben nur unsere Augen davor verschlossen es sehen zu wollen. Falls Du dich erinnerst, Uvsuva – wir waren früher auch einmal Kinder. Wir hatten unsere Kindheit, wir haben zusammen im Sand gespielt, mit den Löwen und Hyiänen unsere Scherze getrieben – aber wir hatten eine Kindheit. …“ Dr. Yegger entreist aus der Hand eines der jungen Soldaten eine AK47, lädt sie durch und hält die Waffe in seiner Hand mit der Mündung zum Boden. „… doch damit zerstört ihr nur die Zukunft dieser Kinder. Euer fanatischer Hass hat euch Blind gemacht, was es heißt zu leben. Ihr nehmt nur statt zu Geben. Und wo hat es Euch hingeführt? Wollt Ihr wieder dass UN-Truppen in unser Land kommen und es nur Tote gibt? Willst Du dass, Uvsuva?“

Derek Yegger tritt an die Stufen seines Eingangs heran und blickt Uvsuva direkt ins rechte Auge. Als er erkennt, dass Uvsuva sein Haupt senkt und keine Worte zur Erwiderung findet, wirft er die Ak47 in den Staub und geht an ihn vorbei. Auf gleicher Höhe mit Uvsuva bleibt er ein paar Sekunden stehen.

„Der Junge bleibt hier!“, flüstert er ihm ins Ohr und zieht sich ins Innere seiner Klinik zurück. Er geht direkt in den Behandlungsraum, schnappt sich den Metalleimer und kehrt zum Eingang zurück und hört das Durchladen der Waffen.

Er wirft das Wasser in den Dreck. Die rötliche Färbung ist deutlich im Sand erkennbar.

„Wenn Ihr wollt, dass ich Euch eines Tages behandle, dann macht jetzt keinen Fehler – denn Euer Blut ist genauso rot, wie dass da unten im Sand.“

Uvsuva schüttelt leicht mit dem Kopf. Daraufhin werden die Waffen wieder gesichert. Enttäuscht begibt sich Uvsuva zum ersten Jeep, steigt ein.

„Wir verschwinden hier – doch ich komme eines Tages wieder Derek!“

Die Jeeps setzten sich in Bewegung und hinterließen einen Schwaden aus aufgewühlten Sandkörner, die Dr. Derek Yegger erst einmal Schlucken musste. Denn er wusste, dass Uvsuva es ernst meinte. Es könnte morgen sein, Übermorgen oder irgendwann, wenn er viellicht nicht da wäre. Er machte sich Sorgen um diese Klinik. Mit dem kleinen Dereje, hatte er auf jeden Fall seinen ersten Patienten nach dem Neuaufbau.